Zukunft gestalten: Interviews aus unserem Netzwerk – LocLab Consulting GmbH

Dr. Ilka May, CEO, LocLab Consulting GmbH
Digitale Zwillinge gelten als Schlüsseltechnologie für die digitale Transformation. Wie kann man sich einen 3D Digitalen Zwilling vorstellen und wo sehen Sie aktuell die größten Potenziale für branchenübergreifende Anwendungen – auch jenseits von Bau und Infrastruktur?
In den letzten Jahren hat sich das Konzept des Digitalen Zwillings von einem Nischenthema, das vorwiegend in der Fertigungsindustrie und Raumfahrt verwendet wurde, zu einer weit verbreiteten technologischen Lösung entwickelt. Heute finden Digitale Zwillinge in zahlreichen Branchen Anwendung, darunter die Energiewirtschaft, der Maschinenbau und die Stadtplanung. Diese Entwicklung ist verdient, denn die Vorteile sind enorm.
Ein Digitaler Zwilling ist eine intelligente, digitale Repräsentation eines realen Objekts, sei es materiell oder immateriell. Die Intelligenz liegt in der Fähigkeit, Daten zu verknüpfen, Prozesse abzubilden und Simulationen zu ermöglichen. Ein 3D-Digitaler Zwilling enthält zudem eine dreidimensionale geometrische Abbildung der Realität. Wichtig ist, dass dieser nicht nur ein statisches Abbild ist, sondern interaktive Datenstrukturen bietet. Man kann sich das wie „klickbare“ Objekte vorstellen: Durch einen Klick kann man etwa Informationen aus einer Datenbank abrufen, ohne lange suchen zu müssen.
Also der 3D Zwilling als Datenintegrator? Wo liegt hier ein Mehrwert für Betreiber von Anlagen und was hält den Markt zurück?
Der Mehrwert für Betreiber von Anlagen, wie in der Bahn-, Energie- oder Maschinenbauindustrie, ist immens. Sie stehen oft unter Druck, Kosten und Emissionen zu senken, während sie gleichzeitig strenge Vorschriften einhalten müssen. Zugleich müssen sie sich durch komplexe IT-Strukturen arbeiten, die oft in isolierten Datensilos organisiert sind und die schnelle Auffindbarkeit von Informationen erschweren. Ein 3D-Digitaler Zwilling verknüpft verschiedene Datenquellen und macht wichtige Informationen leichter auffindbar. In Kombination mit Echtzeitdaten können Anomalien erkannt und Wartungsbedarfe vorhergesagt werden.
Ein großes Potenzial liegt darin, dass wir der großen Fülle von Datenanalysen, daten-basierten Prozessen und Entscheidungen eine ganz wichtige Komponente hinzufügen, nämlich die räumliche Komponente. Über den Raumbezug in einem geometrischen Digitalen Zwilling geben wir einerseits dem menschlichen Gehirn eine bessere Orientierung und Zuordnung, andererseits erweitern wir die Datengrundlage um Ort, Position, Orientierung und weitere Parameter, die bei einer Datenanalyse verwendet werden können. Ein Beispiel: In einer großen Anlage kann ein Techniker mithilfe eines Digitalen Zwillings schnell ein defektes Gerät lokalisieren und sich direkt dorthin navigieren lassen, was Ausfallzeiten und Kosten erheblich reduziert.
Trotz der Vorteile gibt es Herausforderungen. Viele Unternehmen haben veraltete IT-Strukturen und könnten den Irrglauben hegen, dass Digitale Zwillinge eine Abkürzung zur Modernisierung darstellen. Ohne eine klare Digitalisierungsstrategie werden Erwartungen oft nicht erfüllt. Es gibt Anfangskosten, wenn noch keine Modelle existieren und erst erstellt werden müssen.
Wie kann denn eine bezahlbare und funktionierende Lösung aussehen und welche Rolle spielt KI?
Bei LocLab haben wir diese Bedenken mit der Entwicklung der LocLab Cloud adressiert – einer Digital-Twin-Plattform, die nicht darauf abzielt, bestehende Systeme zu ersetzen, sondern diese zu ergänzen. Unser Ziel ist es, den Nutzern Self-Service-Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, mit denen sie ihre Digitalen Zwillinge eigenständig verwalten können. Nutzer können problemlos Elemente in ihren Modellen hinzufügen oder entfernen und über eine Connector-Schnittstelle ihre 3D-Modelle mit externen Datensystemen verknüpfen. Das können IoT Daten sein oder auch Stammdaten aus einem ERP. Diese Flexibilität stellt sicher, dass der Digitale Zwilling ein dynamisches, sich ständig weiterentwickelndes Werkzeug bleibt, das sich an die wechselnden Geschäftsanforderungen anpasst.
Künstliche Intelligenz (KI) spielt eine immer wichtigere Rolle bei der Senkung der Kosten für die Erstellung von 3D-Modellen. Wir setzen seit Jahren Machine Learning ein, um die Objekterkennung in Bildern und Videos zu automatisieren. Durch das Training von KI-Systemen zur Erkennung bestimmter Objekte und deren Ersetzung durch entsprechende Elemente aus einer digitalen Bibliothek können wir die Zeit und Kosten für den Aufbau eines Digitalen Zwillings erheblich reduzieren und damit die Hürden der Akzeptanz verringern.
Mit Blick auf die Zukunft bietet die nächste Generation von KI-Technologien noch größere Möglichkeiten. Wir alle sind jetzt in der Lage, mit Computern in unserer Sprache zu kommunizieren und unsere Anforderungen zu beschreiben, ohne Programmierkenntnisse zu benötigen. Wir können jetzt schon vollautomatisch 3D Modelle eines fiktiven Raums über reine Beschreibungen generieren lassen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre erwarten wir den Durchbruch in die vollautomatische Generierung Digitaler Zwillinge von real existierenden Gebäuden und Anlagen, was die Kosten weiter senken und den Zugang erweitern wird.
Um ein Fazit zu ziehen: der Aufstieg der 3D-Digitalen Zwillinge markiert einen transformativen Wandel in zahlreichen Branchen. Sie ermöglichen es Unternehmen, Prozesse zu optimieren, fundierte Entscheidungen zu treffen und betriebliche Ineffizienzen zu reduzieren. Während noch Herausforderungen bei der Einführung bestehen, werden Unternehmen, die diese Technologie nutzen, einen erheblichen Wettbewerbsvorteil erlangen. Mit den bevorstehenden KI-getriebenen Fortschritten sieht die Zukunft der Digitalen Zwillinge äußerst vielversprechend aus.